Haushaltsrede zum Doppelhaushalt 2021/2022 5. Februar 2021 Haushaltsrede zum Doppelhaushalt 2021/2022 Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: Maria Weithmann Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, nach dem Ausnahmejahr 2019, das Jahr, in dem die Klimakrise in ihrer ganzen Bedrohlichkeit zu spüren war, nun ein erneutes Krisenjahr 2020. Eine Krise, deren Auswirkungen derzeit noch nicht absehbar sind. Im Frühjahr konnten wir erleben, was eine gemeinsame Kraftanstrengung bewirken kann. Wir danken für das verantwortungsvolle Krisenmanagement der Stadtverwaltung und auch für das Engagement vieler Helfender vor Ort. Die Coronakrise darf nicht dazu führen, dass Klimaschutzbemühungen zurückgestellt werden. Im Gegenteil: wir mussten erkennen, wie einschneidend eine Krise unser Leben verändern kann. Es hat sich gezeigt, dass halbherzige, nicht konsequent durchgeführte Maßnahmen letzten Endes die Krisendauer verlängern und die Folgekosten noch weiter ansteigen. Dies ist eine der wichtigen Lehren, die wir auf den Umgang mit der Klimaproblematik übertragen sollten: Je länger wir Maßnahmen aufschieben, desto fataler werden die Auswirkungen sein. Krisen sind nur durch mutige Schritte, nicht im Festhalten an Gewohntem, zu bewältigen. Die Bewältigung der zwar langsam verlaufenden, aber dramatischeren Klimakrise, verlangt energische Kraftanstrengungen, wie wir sie in der ersten Phase der Pandemie erlebt haben. Der heute zu beschließende „Sparhaushalt“ steht vor allem unter dem Diktat der Genehmigungsfähigkeit. Es ist immerhin gelungen, dass keine der großen Einrichtungen geschlossen werden muss und die dringendsten Investitionen getätigt werden können. Dafür tragen wir die Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer mit. Die Gewerbesteuererhöhung betrifft ausschließlich die Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften. Und selbstverständlich müssen Lasten gerechter verteilt werden und v.a. Pandemiegewinner stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens herangezogen werden. Zum Ausgleich des Haushalts sind erneut hohe Verkaufserlöse aus bebauten und unbebauten Grundstücken nötig. Allein in den Jahren 2021 und 22 sind es insgesamt 22 Millionen. Wir veräußern ein „endliches Gut“ mit der Folge von noch mehr Flächenversiegelung. Die Aussage des Oberbürgermeisters, dass wir beim vorliegenden Haushalt im Bereich Klimaschutz nicht sparen, unterschlägt und verschleiert die Tatsache, dass die zum Erreichen unserer selbstgesteckten Klimaziele nötigen Maßnahmen bei weitem nicht eingeplant sind. Eine substantielle Verbesserung beim ÖPNV ist nicht vorgesehen, keine Erhöhung des Budgets für den Radverkehr oder zustätzlicher innerstädtischer Verkehrsreduzierungsmaßnahmen. Dass man die Umleitungstage der Linie 3 soweit in die Höhe getrieben hat, dass sie nun ab Sommer dauerhaft umgeleitet werden muss und nicht mehr direkt zum Marienplatz führt, ist ein Rückschritt für die Attraktivität der Linie. Immer noch sind Teile des Gemeinderates der Meinung, Konzepterstellungen und Prioritätenlisten seien bereits Klimaschutz. Anstatt über die „Rechtsstaatlichkeit“ der Klimaaktivisten zu diskutieren, sollten wir uns auf die Umsetzung unserer Klimaziele in der praktischen Politik besinnen. In einigen Bereichen hat sich der Einspardruck auch positive Effekte: z.B. bei der geplanten Kooperation zwischen den Bauhöfen in der Stadt und den Ortschaften und der Stadt Weingarten. Allein aus Gründen des Ressourcenverbrauchs ist dieser Schritt überfällig. Ebenso die Zusammenarbeit der Volkshochschulen. Sie ist aus reiner Rücksichtnahme auf Empfindlichkeiten von Einzelpersonen immer wieder auf Eis gelegt worden. Auch Veränderungen bei der Lira wären unabhängig von Corona angestanden. Die Coronakrise hat die Konkurrenz für den Einzelhandel durch den online-Handel verschärft. Es bleibt zu hoffen, dass sich nun endlich eine Mehrheit für das probateste und wichtigste „Gegenmittel“ findet: die Erhöhung der „Aufenthaltsqualität“ in der Stadt. Das bedeutet vor allem weniger Autoverkehr, mehr Grün in der Innenstadt und anziehende Orte, an denen Menschen sich aufhalten möchten. Davon würden neben dem Handel auch die Innenstadtbewohnerinnen und -Bewohner profitieren. Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing sollten viel stärker das Nachhaltigkeits- und das fair-trade-Thema aufgreifen. Initiativen einzelner Händler für gemeinsame Kurierdienste oder emissionsfreie Paketzustellungen der sogenannten „letzten Meile“ sind zu starten. Daneben sind pfiffige Ideen zur Kundengewinnung gefragt anstatt das Heil vor allem im Billigparken zu suchen. Ein drängendes Problem unserer Stadt bleibt die Wohnungsfrage. Erfreulicherweise plant die Stadt bis 2025 den Bau von 80 Sozialwohnungen. Ravensburg gehört zur traurigen Spitzengruppe bei den Miethöhen. Die aktuell geplanten Wohngebiete bedienen die Nachfragen im mittleren und hohen Preissegment, deshalb soll in allen zukünftigen Wohngebieten auch sozialer Wohnungsbau entstehen. Ebenso ist der Landkreis Ravensburg auch unrühmlicher Spitzenreiter in der Anzahl der geplanten Wohngebiete nach § 13 b, den Baugebieten im Außenbereich ohne ökologische Ausgleichsverpflichtung. Desto mehr müssen wir in zukünftige Bebauungsplänen Nachhaltigkeitskriterien aufnehmen wie innovative Mobilitäts- und Energiekonzepte oder Anforderungen an die Begrünung. Über die Bauplatzvergabekriterien sind kompaktere Wohnformen für genossenschaftliches und gemeinschaftliches Wohnen und auch die Verwendung bestimmter Baustoffe zu bevorrechtigen. Ein wesentliches Ziel muss die Senkung des Pro-Kopf-Flächenverbrauchs sein. Dagegen planen wir immer noch Einfamilienhausbebauung, trotz gegenteiliger öffentlicher Bekenntnisse. Notwendig sind weiterhin Anstrengungen gegen Wohnungsleerstände, nicht genutzte Baurechte oder Zweckentfremdungen. Die immensen Flächenentwicklungsvorstellungen des in Bearbeitung befindlichen Regionalplans für das Mittlere Schussental setzen die Flächenversiegelung unverändert fort, klimatologische und ökologische Auswirkungen werden untergeordnet abgearbeitet. Der Teufelskreis, von weiteren Gewerbeflächen die zur Zunahme der Wohnungsnot führen, bleibt unberücksichtigt. Solche Wachstumsideologien aus einer anderen Zeit gefährden unseren Siedlungsraum. Im Rückblick auf das Jahr 2020 sind neben den Herausforderungen durch die Pandemiebekämpfung und der notwendigen Sparmaßnahmen vor allem der Klimakonsens und die Klimakommission hervorzuheben. Das neu eingerichtet Umweltamt verdient für die Durchführung und deren Arbeit großes Lob. Das CO2-Reduktionsziel ist ambitioniert, jedoch wissen wir bereits jetzt, dass die im Klimakonsens beschlossenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, um das ebenso beschlossene CO2-Reduktionsziel von 13% pro Jahr zu erreichen. Wenn jedoch regelmäßig bei Beschlüssen des Tagesgeschäfts anderweitige Prioritäten gesetzt werden, macht Politik sich unglaubwürdig. Angesichts der angespannten Haushaltslage ist die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung spätestens im Sommer umzusetzen. Die Bewirtschaftung von Scheffelplatz und Bechtergarten wurde bereits im Jahr 2016 in einem überfraktionellen Antrag aller Fraktionen, außer der CDU, beantragt. Ein Teil der Einnahmen daraus soll entsprechend unserem Antrag für die Streuobstwiesenpflege eingesetzt werden, damit das ursprünglich von der Verwaltung vorgelegte Konzept umgesetzt werden kann. Das bereits mehrfach und vor Jahren schon angekündigte Vorhaben des OB, am Flappachbad die Eintrittspreise zu senken und durch Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung zu kompensieren, wird nach wie vor nicht umgesetzt. Dabei könnte hier sowohl eine Lenkungswirkung erzielt werden, als auch mehr soziale Ausgewogenheit. Die Mobilitätswende muss in Ravensburg an Schwung aufnehmen. Wichtiger Akteur ist auch hier die TWS mit ihren Ausleihangeboten, den Ladesäulen und Initiativen für betriebliches Mobilitätsmanagement. Weitere Stellschrauben sind Tarifanpassungen bei den Bewohnerparkausweisen, eine reformierte Stellplatzsatzung oder die Umwandlung von Parkflächen für Fahrradschutzstreifen, z.B. an der See-und Rudolfstraße. Die schrittweise Entwicklung hin zur autofreien, bürger*innenfreundlichen Altstadt muss unser Ziel sein. Nach Abschluss der Sanierung des Gespinstmarktes ist als nächster Schritt die Ausweitung der Fußgängerzone auf die Marktstraße anzugehen. Über 2600 Parkplätze sind in durchschnittlich 6 Gehminuten erreichbar. Für Anwohnende, Menschen mit Mobilitätseinschränkungen und Lieferdienste gibt es Sonderregelungen. Unser ÖPNV-kann erst im Jahr 2026 nach Auslaufen bestehender Konzessionsverträge merklich verbessert werden. Wir begrüßen sehr, dass Gespräche zur Gründung einer GMS-weiten Gesellschaft für einen gemeinwirtschaftlich betriebenen ÖPNV stattfinden. Trotzdem sind wir gefordert, dort Verbesserungen vorzunehmen, wo dies bereits im jetzigen Verkehrsverbund möglich ist, z.B. in Form eines 365-€-Tickets, der Ausweitung der Nutzungszeiträume für das 1€-Ticket auf Sonntage und Abende, Verbesserungen auf einzelnen Linien wie der Hegaustraße oder eines Expressbusses von Baindt nach Ravensburg. Die Umsetzung der Radvorrang – und der Radschnellroute wird den Radverkehr voranbringen. Die Fahrradspur am Frauentor hat sich trotz gegenteiliger Unkenrufe bewährt, sollte jedoch auch noch einen Anschluss in Richtung Osten bekommen. Für einen attraktiveren Fuß-und Radverkehr bedarf es noch deutlich größerer Anstrengungen. Im Jahr 2021 sollten all jene Maßnahmen vorgezogen werden, die wirksam und wenig kostenintensiv sind, wie z.B. zusätzliche Fahrradstreifen, kostenlose Beförderungsmöglichkeiten fürs Fahrrad im ÖPNV oder Verkürzungen bei den Wartezeiten an Fußgängerampeln. Nun wird Ravensburg im Jahr 2021 Modellkommune für die Umsetzung von mehr Klimaschutz im Verkehr. Werden wir es schaffen, Maßnahmen nicht nur zu konzipieren, sondern sie auch mutig umzusetzen? Wer heute noch meint, das sei ohne push-und pull-Maßnahmen möglich, also Anreizsetzung und Attraktivitäsreduzierung des motorisierten Individualverkehrs, der ist Verhinderer einer Mobilitätswende. Und klar ist, dass der Verkehr das Sorgenkind des Klimaschutzes ist. Seit 1990 steigen die Treibhausgasemissionen in diesem Sektor stetig an. Es ist für die Stadt kein Ruhmesblatt, dass die nun in diesem Jahr geplante Fortschreibung des Lärmaktionsplanstufe erst auf Druck der EU erfolgt. In diesem Zusammenhang ist aus unserer Sicht Tempo 30 im gesamten Stadtbereich aus Sicherheitsgründen notwendig, auch ohne vorhandene Lärmüberschreitungen. Die Diskussion um die Weiterentwicklung der Agendaarbeit in Ravensburg wurde unserem Anspruch aktiver Bürgerbeteiligung nicht gerecht. Wir müssen gewährleisten, dass die Gruppen weiterhin Räumlichkeiten für ihre Treffen oder Veranstaltungen zur Verfügung gestellt bekommen und ein gewisses Budget für Veranstaltungen. Wir begrüßen, dass im Bildungsbereich keine Einsparungen vorgesehen sind. Die Coronakrise hat Schwächen im Bildungsbereich vor allem bei der Digitalisierung aufgezeigt. Deshalb ist es richtig, an der geplanten Digitalisierungsstrategie in den Schulen festzuhalten. Kinder aus sozial schwierigeren Verhältnissen sind von der Pandemie massiver betroffen, die Bildungsungerechtigkeit hat sich verschärft. Auch deshalb bleibt für uns die Stärkung der Gemeinschaftsschule ein dringendes Anliegen. Das Ziel der Zentralisierung am Standort Kuppelnau ist richtig. Froh sind wir darüber, dass, entgegen früherer Aussagen, die Sanierbarkeit gegeben ist. Dass die Zusammenführung erst im Jahr 2025/26 sein wird, ist ein Wermutstropfen. Die Schule hat in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet und wir alle hätten uns gewünscht, dass die Übergangszeit kürzer ist. Die Bildungspolitik des Landes hat die Gemeinschaftsschule auch in Ravensburg geschwächt durch unnötigen Aufbau weiterer Konkurrenzen an der Realschule, die ausschließlich zu einer weiteren Selektierung von Schüler*innen führt. Unsere Fraktion ist bestrebt, dass Kommunalpolitik immer unter dem Focus sozialer Ausgewogenheit steht und das Gemeinwohl im Blick hat. Lassen Sie uns, trotz knapper Haushaltsmittel, unsere kommunalpolitischen Herausforderungen der Gegenwart ambitioniert in die Hand nehmen, in Verantwortung für die Zukunft derjenigen Menschen, die im Gemeinderat noch keine Stimme haben. Für die nachkommenden Generationen, unsere Kinder und Enkelkinder. Ich danke allen für die gute Zusammenarbeit. Wir hoffen, dass es uns weiterhin gelingen wird, mittels intensiver und konstruktiver Debatten zu guten Lösungen zu kommen.